Die Hainich-Saga von Matthias Kaiser - Siebzehntes Kapitel

Frische Früchtchen oder doch Konserve? Ein durchaus geschmackvoller Kompromiss...

Bedauerlicherweise gehören die Zeiten, als noch frisch von der Leber hinweg diskutiert werden durfte, ohne dabei Gefahr zu laufen, persönlich verunglimpft zu werden, der Vergangenheit an.  Sehnsüchtig erinnere ich mich an die Tage, als im fairen Streitgespräch noch ungestraft versucht werden konnte, andere von seiner Meinung zu überzeugen. Wer indes heute den Pfad der Diskussion wählt, verfängt sich allzu häufig in den Fallstricken persönlicher Anfeindungen, Missgunst und sogar Hass.

Umso wichtiger ist es, sich sowohl im privaten wie auch beruflichen Umfeld den Umgang mit Menschen zu pflegen, die über eine gesunde Diskussions-und Streitkultur verfügen. Ein Rat, der sich in meinem Falle erst letztlich wieder auszahlte, als ich eine befreundete Familie bat, mir aus Mangel an Zeit beim Backen kleiner Obsttörtchen und Thüringer Blechkuchen zu helfen, mit denen meine Frau und ich Anfang Juni unsere Geburtstagsgäste verwöhnen wollten. 

Also mitten in jene Zeit der Fruchtbarkeit, in der die Händler an jeder Ecke mit den üppigsten regionalen Obstangeboten locken. Unwiderstehliche Offerten, die meine hilfsbereiten Freunde sicherlich vermuten ließen, dass ich für unser Backfest ausnahmslos taufrische Früchtchen heranschleppen würde, um mit diesen nach Thüringer Brauch diverse Biskuit – und Hefeteigböden dick zu belegen.

Was ich natürlich tat. Doch nicht, wie meine Helfer scheinbar vermuteten, in größeren, sondern in doch recht überschaubaren Mengen. So richtig lang wurden dann ihre Gesichter, als ich im gleichen Zuge neben die Frischware ein Dutzend Obstkonserven in Gläsern stellte. Zugegebenermaßen provokativ, ahnte ich doch, dass meine befreundeten Biofanatiker einen solchen – in ihren Augen – unverzeihlichen Fauxpas gegen ihr gesundes Konsumverhalten, nicht einfach kommentarlos akzeptieren würden.

Bevor ich fortfahre, möchte ich mich im Nachhinein bei meinen Freunden schon einmal für meinen heimtückischen Anschlag auf in ihren Augen sicherlich vorbildlichen Umgang mit den Erzeugnissen von Mutter Natur entschuldigen. Den sie jedoch, so jedenfalls mein Eindruck, mit einer Radikalität praktizieren, der einige ihrer Gewohnheiten aus meiner Sicht recht skurril erscheinen lassen.   

Vor allem, seit ich vor nunmehr einem Jahr damit begann, mich mit dem Thema Konserven zu beschäftigen, kamen mir, einem bedingungslosen Anhänger naturbelassener Ernährung, immer öfter Bedenken, ob eine solche radikale Einstellung wirklich zu einer gesünderen Lebensweise beiträgt oder ob es nicht vielleicht besser wäre, wenn sich Bewährtes und Neues in einer Art friedlicher Koexistenz gemeinsam um das leibliche und im Resultat auch um das seelische Wohlbefinden der Menschen sorgen sollten.

Und das vor allem angesichts der Tatsache, dass wir als gut ernährte Mitteleuropäer über ein Luxusproblem streiten, dass immer mehr Menschen, angesichts der aktuellen Ereignisse in erschreckendem Maße an Hunger leiden müssen oder werden, völlig hirnrissig erscheint.     

Prognosen, die mich seit einigen Monaten derart aufwühlen, dass ich das gemeinsame Backen als eine Art Plattform nutzen wollte, um über Sinn oder Unsinn unserer oftmals verhärteten Ernährungsgewohnheiten zu diskutieren.

Wohl wissend, dass meine Freunde nach den Regeln eines fair ausgetragenen Streitgespräches spielen würden, verspürte ich plötzlich Verlangen nach Konfrontation. 

Ein Verlangen, das natürlich prompt befriedigt wurde, denn kaum begriffen die BIO-Jünger meinen Fauxpas, starteten sie gezielte Angriffe auf die Konserve im Allgemeinen und meine Obstkonserven – natürlich durch die Bank weg Hainich-Produkte – im Spezifischen.

Was folgte war ein Schlagabtausch par excellence.

Wobei trotz oft völlig konträrer Standpunkte keine Partei zu keinem Zeitpunkt den Weg des Anstandes und des gegenseitigen Respektes verließ. Vielmehr entwickelte sich ein zutiefst ernster Schlagabtausch, bei dem wir trotz einiger Phasen aufkommender Erregtheit immer unserem Kontrahenten die Gelegenheit zugestanden, seine Argumente (mehr oder weniger) umfassend dazulegen.

An dieser Stelle die wichtigsten Argumente:

Natürlich warfen meine Freunde zuerst das schwergewichtigste Argument in den Ring: Frisches Obst und Gemüse sind bedeutend gesünder als Konserven im Glas.

Worauf ich mit einer Studie der Stiftung „Warentest“ kontern konnte, die eindeutig beweist, dass zum Beispiel rotes Konservengemüse im Vergleich zu frischen Tomaten und Paprika einen weitaus höheren Gehalt des sekundären Pflanzenstoffes Lycopin aufweist, der unsere Zellen vor dem Angriff solcher freier radikale schützt, die Krebs auslösen. Sofort der Gegenschlag: beim Konservieren gehen doch viele Vitamine verloren!

Ohne Frage gehen bei der Konservierung im Glas Vitamine verloren. Vor allem, weil viele Vitamine unter der Schale sitzen, die es bei zahlreichen Obstsorten nicht in die Dose schaffen. Andererseits wurden die Konservierungsmethoden in den letzten Jahren derart revolutioniert, dass sich diese Verluste inzwischen minimieren.

Worauf umgehend ein neuer Konter folgte: der biologische Fußabtritt!

Doch da bissen sie bei mir auf Granit. Schon unsere Großmütter ahnten instinktiv, dass sich Gläser weitaus besser zur „Verpackung“ eignen, als beispielsweise Alu-Dosen oder Plastikverpackungen. Wobei ich meinen Freunden dahingegen Recht geben musste, dass so ein Glas doch nach einmaligem Gebrauch statt im Glascontainer aus Bequemlichkeit im Hausmüll landet. Ein wirklich ernsthaftes Argument, das man nicht einfach von der Hand weisen kann und darf. Hier muss sicherlich, ähnlich wie beim Pfandflaschensystem, nachbessert werden. Hier allein auf die menschliche Vernunft zu setzen, wäre leichtsinnig; wenn nicht sogar blauäugig.

Woraufhin sie umgehend eines der wichtigsten Argumente, das Zuviel vom Zucker bei Obstkonserven, in den Ring warfen. Bekannt ist, dass Zucker nötig ist, um die Haltbarkeit von Obstkonserven zu gewährleisten. Auch hier konnte ich nur auf die verbesserten Methoden verweisen; auf Ersatzstoffe und endlich zum Gegenschlag ausholen: Die Umstellung der traditionellen auf biologische Konservierungsverfahren. Die strengen Richtlinien sollten eigentlich solche Methoden ausmerzen. Sollte! Denn ähnlich, wie bei den Erzeugern von frischer Bio-Ware tummeln sich auch bei den Konservenherstellern viele schwarze Schafe auf der auf grün gepriesenen Verbraucher-Wiese.

Apropos Bio-Ware: an der herrscht auf regionaler Ebene ein solcher Mangel, dass sie inzwischen sogar aus Südamerika stammt. Über tausende Kilometer herangekarrt, bezweifle ich die Nachhaltigkeit dieser uniform schmeckenden Einheitsware, die erstaunlicherweise keinen noch so kleinen Erbschaden aufweisen. Um wirklich sicher zu sein, ob alles „bio“ erzeugt wurde, müssten wir nur noch in Hofläden oder direkt am Feld bei den Bauern kaufen. Und da sind Äpfel auch mal schorfig; Gurken krumm oder Kartoffeln groß und klein.

So ging es hin und her.

Zuletzt ein Argument meiner Freunde, die die blasse Farbe vieler Obstkonserven bemängelten. Womit sie mir förmlich ins offene Messer liefen, hatten sie sich doch in eines meiner Lieblingsthemen verirrt, denn besonders die Anhänger von BIO-Frisch-Obst-und Gemüse „leiden“ doch von Anfang an „freiwillig fröhlich“ unter einer eigentlich deprimierenden Farblosigkeit. Ja, werten sie sogar als Gütesiegel.

Während nämlich die Produkte in den „normalen“ Kaufhallen durch intensive Kunstlicht-Bestrahlung optisch aufgerüstet werden, verzichtet der Bio-Handel ganz bewusst auf solche Fallen.   

Als letzte Argumente präsentierte ich zwei Faktoren, die besonders in diesen schwierigen Tagen des galoppierenden Preiswahnsinns sogar bei meinen Freunden sichtliches Nachdenken auslösten: Die ständige Verfügbarkeit und der moderate Preis von Konserven!

Sich darüber auszulassen, würde indes weit über mein heutiges Ziel – Mut beim Griff zur Konserve zu beweisen – hinausschießen.

Am Ende ein Kompromiss: Wir mischten: Und präsentierten anderen Tags eine Melange aus erntefrischer optischen Brillanz und der aromatischen Fülle von Konservenobst.

Ob auch Ihnen dieses kleine Wunder gelingt?

Ach was, Sie wissen nicht, wie man Biskuit -und Hefeteig herstellt?

Ihnen kann geholfen werden.

Viel Glück bei Backen wünscht Ihr Matthias Kaiser