Die Hainich-Saga von Matthias Kaiser - Dreizehntes Kapitel

Der Depression ist ein Kraut gewachsen

Liebe Hainich-Freunde, seit nunmehr zwei Jahren verändert das Corona-Virus unsere Welt derart erbarmungslos, dass man um ihren Fortbestand in bisherigen Bahnen bangen muss.

Doch dieses Virus zerstört nicht nur die Gesundheit und schränkt die Bewegungsfreiheit der Menschen dramatisch ein, sondern beeinträchtigt ohne Rücksicht auf Verluste das ohnehin schon arg gebeutelte zwischenmenschliche Vertrauen und den ganz normalen Anstand. Und nicht zuletzt beschädigt es jenen Gemeinschaftssinn, der unentbehrlich war, um aus einem primitiven Primaten den modernen homo sapiens zu formen.

Beschleunigt durch eine zunehmende Verunsicherung durch Politiker, die wir eigentlich gewählt haben, damit sie uns auch in schlechten Zeiten zuverlässig führen, werden wir seit Monaten von einer Welle des Hasses überflutet, die unsere Gesellschaft bis hinein in die Familien spaltet.   

Was mich schon vor einigen Monaten veranlasste, mir die täglichen Virus-Frontberichte zu ersparen. Seither sind Talkshows, Breaking News & Co in unserer Familie tabu. Dass ich mich trotzdem keinen Moment desinformiert fühlte, bestätigt nur die Erfahrung, wie sehr uns die Medien mit ihrer Penetranz in einen drogenähnlichen Rausch versetzen. Übrigens stellte ich im selben Augenblick auch alle Belehrungen ein, mit denen ich anfangs versuchte, jeden aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis hinsichtlich der Notwendigkeit einer Impfung oder Maske zu überzeugen.

Vielmehr nahm ich die bedauerlicherweise immer selteneren Zusammentreffen zum Anlass, um sie in die Vergangenheit zu entführen. Wusste ich doch, dass die Kindheitserlebnisse aller Menschen der kleinste gemeinsame Nenner sind, um Menschen sowohl von Trübsinn als auch von Aggressionen zu befreien. Dabei mache ich mir den Umstand zu Nutze, dass sich in der Regel selbst der größte Grobian beim Gedanken an seine Mutter und Großmutter, die ihn zu Beginn seines Lebensweges mit Wärme und Geborgenheit umsorgten, nahezu „handzahm“ wird. Plötzlich wird er sanftmütig und entwickelt eine Bereitschaft zum Zuhören. Bleibt die Frage, wie man einen solchen Menschen auf das Parkett der Nostalgie bekommt. Kann man ihn ähnlich wie eine Maus mit einem Stück Käse, aus seiner verqueren Gedankenwelt locken?

Käse? Unwahrscheinlich. Ich empfehle eher . . . Sauerkraut. Sauerkraut? Ja, Sie haben richtig gelesen.

Doch der Reihe nach:

Vor einigen Tagen besuchten uns unverhofft Ralf und Dorothea. Ralf ist ein erfolgreicher Erfurter Obstbauer, der vom Lieferanten zum Freund wurde. Aus meiner Sicht, bedauerlicherweise, machte ihn Corona auch zum Impfskeptiker. Doch das ist seine ganz persönliche Angelegenheit.

Immerhin hatte er sich für diesen Besuch sogar testen lassen. Kaum das erste Pils getrunken, fing er fürchterlich zu schimpfen an, weil ihm am Nachmittag ein Schuhgeschäft auf Grund der 2G-Regel den Zutritt verwehrt hatte. “Wollte mir nach mehreren Fehlversuchen im Internet doch nur ein paar Schlappen kaufen, die passen“, röchelte er wie ein waidwund geschossener Keiler.  „Nur, weil ich kein Impfzertifikat vorweisen konnte, jagten sie mich wie einen Clochard vom Acker.“ Mit verschleiertem Blick versank er in einem Selbstmitleid, das drohte in Aggression umzuschlagen.

Da ich aus den vorweg geschilderten Gründen jegliche Kommentare unterließ, wurde er langsam handzahm. Er trank ein zweites kleines Pils und ich bemerkte, wie sich bei ihm der kleine Hunger einschlich. Wie gesagt: Ralf und Dorothea erschienen unverhofft. Wir waren also nicht vorbereitet.

Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass mir mein Eichsfelder Freund Marcus vor Kurzem ein Rezept seiner Großmutter Gerda mit der Bitte zugeschickt hatte, es für ihn bei seinem nächsten Besuch umzusetzen: „Ich selbst habe mehrfach versucht, das Rezept nachzukochen und versuchte leider vergeblich, den vertrauten Geschmack der großmütterlichen Kochkunst zu erzeugen. Vielleicht gelingt es Dir ja mit Deinen Thüringer Heimwehküchen-Genen“ schrieb er hoffnungsvoll.

Ich musste etwas lächeln, wusste ich doch, dass der Marcus viele Tugenden in seiner Person vereinte. Nur, als der liebe Gott die Gabe des Kochens verteilte, war jener wohl nicht ganz bei der Sache. Ich freute mich über den Hinweis auf die Heimwehküchen-Gene, hieß das doch, dass er aufmerksamer Leser meiner Kolumnen ist. Da konnte ich nicht anders, als ihm bei Gelegenheit seine Bitte zu erfüllen.

Nun aber ergab sich die Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits konnte ich das Rezept von Oma Gerda schon mal Probe kochen; anderseits den Ralf mit etwas Nostalgie-Food aufmuntern. 

Einige Gläser HAINICH-Kraut, Kartoffeln und die übrigen Zutaten habe ich immer im Haus. Also frisch ans Werk. Ich zog das alte Rezept aus dem Zylinder und kochte es, nur ergänzt mit dem Weißwein, eins zu eins nach. Ich verbannte sogar den Gedanken, das Traditionsgericht mit geräucherten Bauchspeckwürfeln zu veredeln, was vor allem Vegetarier erfreuen dürfte. Außerdem wusste ich, dass meine Ehefrau für den folgenden Tag einen ihrer vorzüglichen Hackbraten vorbereitet hatte. Den wir dann auch rund eine Stunde später zur Komplettierung unserem missmutigen Gast vorsetzten. Dessen Miene sich schon in dem Moment aufzuhellen begann, als aus der Röhre der erste Sauerkrautduft drang. Und der vollends in Heiterkeit erstrahlte, als er genüsslich die ersten Bissen zum Munde führte.

Was soll ich sagen: Wie vermutet, lockte Oma Gerdas Sauerkrautrezept den Ralf aus seinem Trübsinn. Inwieweit es seine Einstellung zum Impfen beeinflusst hat, wird die Zeit zeigen. In jedem Falle bin ich durch das Probekochen gut für den Besuch von Marcus und Kirsten gerüstet. Hoffentlich kann ich den Geschmack seiner Großmutter Gerda treffen. Vielleicht sogar den Ihren?

Mit dem Rezept von Oma Gerdas Sauerkrautgericht bekam ich auch ein Rezept von Kirsten´s Oma für Plaumenknödel - mit denen ich dann Marcus und Kirsten zusätzlich überraschte. Da beide begeistert waren, erlaube ich mir, Ihnen Oma Gerda´s Sauerkrautauflauf und Oma Gerdi´s Pflaumenknödel ebenfalls zu kredenzen und füge natürlich auch den vorzüglichen Hackfleischbraten mit Ei meiner lieben Ehefrau bei. Wenn auch nur medial. 

Gutes Gelingen bei der Behandlung Ihrer "Depression" wünscht Ihnen Ihr

Matthias Kaiser