Autor, Fotograf, Koch: Mit spitzer Feder schreibt unser Freund Matthias Kaiser liebenswerte Geschichten aus dem Hainich.
Die Soljanka - von der erfolgreichen Wurstveredlung
Noch Anfang der Sechziger des vorigen Jahrhunderts hätte der Name „Soljanka“ ein ebenso unverständliches Schulterzucken ausgelöst, wie die Worte Handy, I-Pad oder . . . Ampelkoalition. Was schlicht und einfach daran lag, dass die Soljanka, wie wir sie heute kennen und schätzen, kein Bestandteil unserer traditionellen Küche war. Doch letztlich hat die Globalisierung auch vor unseren Küchen nicht Halt gemacht und unsere schweinefleischlastige Küche mit einem Hauch Exotik überzogen. Doch Vorsicht: Nicht alles, was heute neo-exotisch anmutet stammt aus der Fremde.
Zum Beispiel der Döner. Nix Türkei – Bahnhof Berlin, Zoologischer Garten. 1972 erblickte er dort, mitten im quirligen Kiez, das Licht der Welt. Oder die inzwischen weltberühmte Currywurst. Kein Inder hatte da die Hand im Spiel, sondern Tante Herta Heuwer kreierte in einem Kiosk in der Nähe des Stuttgarter Platzes in Berlin dieses heute, sogar aus den Kantinen nicht mehr wegzudenkende, Kultgericht. Auch wenn sich, wie jüngst bei VW, Widerstand regt: Die Currywurst wird überleben. Womit Berlin für mich so etwas wie die Kunstschmiede des Deutschen Geschmacks ist.
Und die oben erwähnte Soljanka? Wurde auch in Berlin erfunden. Nur diesmal im, bis dato nur von Bockwurstduft eingenebeltem, Osten. Inzwischen gehört die Soljanka zum festen Inventar, vor allem der Ostdeutschen Küche. Kaum eine Speisekarte in den neuen Bundesländern, die es wagt, sie zu ignorieren. Ein Kultgericht, das für auswärtige Gäste zum Muss gehört. Was letztlich erst wieder die BUGA bewies.
Der Run auf die Soljanka nahm indes viel früher Fahrt auf. Begann eigentlich mit dem Tag des Mauerfalls. Aus Neugier auf die „kulinarischen Errungenschaften der sozialistischen Tafelkultur“, wurde sie von den anno dazumal wie Heuschrecken einfallenden Bürger der gebrauchten Bundesländer als nahrhaftes Beutegut geordert.
Kaum stand damals das Tässchen dieser ursprünglichen Suppe vor ihnen, hauten diese Brüder und Schwestern so rein, als wollten sie dem ehemaligen Klassenfeind noch nachträglich eine Tracht Prügel verabreichen. Doch der Klassenkampf schlug meist schon nach den ersten Bissen von kritischer Skepsis in zufriedenen Beifall um. Und in der aufkeimenden Hoffnung, dass sich irgendwann die Deutsche Einheit doch noch rechnen könnte, schlug die Soljanka über West und Ost einen Regenbogen der Versöhnung.
Wie gesagt: Das alles bewirkte ein osteuropäisches Süppchen! Da hatte doch vielleicht der Kreml die Hand im Spiel? Papperlapapp! Nein! Dieses Süppchen namens Soljanka ist ein Paradebeispiel für jene Perfektion und Pfiffigkeit der Ossis, die nötig war, um die nicht immer ganz so glanzvolle Zeit der Arbeiter-und Bauerndiktatur einigermaßen schadlos zu überstehen. Denn die Wiege der Soljanka, Sie erinnern sich, stand nicht in russischen Gefilden sondern in Ost-Berlin.
Wurde Anfang der Sechziger des 20. Jahrhunderts auf Geheiß der FDGB kreiert, um damit das Essen in den FDGB-Ferienheimen etwas interessanter zu gestalten. Kurzerhand entwickelten die Genossen aus einer schlichten, überwiegend fleischlosen russischen Suppe, der „Sel’skij“ (die übrigens erst am Ende des 18. Jahrhunderts mit der Verwendung von gesalzenen Zutaten, wie saurer Gurke und saurem Kraut in Soljanka umgetauft wurde) eine neue Variante. Was beweist, dass wenigstens der Erfindergeist der Genossen das so oft zitierte Weltniveau besaß.
Und so ganz nebenbei hatte man schlicht einen handelspolitischen Erfolg im Geiste der Sparsamkeit erzielt, denn „geheime“ Anweisungen an die großen FDGB-Ferienhäuser empfahlen bei der Zubereitung auch auf die täglich angefallenen Reste von kalten Platten und ähnlichen Wurstabfällen nicht zu verzichten. Was die Soljanka überdies stets mit einer kräftigen fetttriefenden Schicht dankte, an der sich aber eigenartigerweise bis heute kaum jemand stört.
Da die DDR-Soljanka aber nicht mehr viel mit dem Original gemein hatte – es gab ja kaum Wurst in der Sowjetunion, also auch keine Wurstabfälle – war man aus ängstlichem Respekt vor dem großen Bruder förmlich gezwungen, ihr obendrein auch einen neuen Namen zu verpassen: Man nannte sie „Ukrainische Soljanka“. Doch dort lachten sich die Ukrainer scheckig, denn in der Ukraine, wie auch in Weißrussland, war eine ukrainische Soljanka bis dato völlig unbekannt. Plötzlich jedoch war die Suppe nicht nur sprichwörtlich in aller Munde und so können die Strategen der DDR-Nahrungsgüterwirtschaft für sich reklamieren, dass sie so ganz nebenbei kostenlos die größte touristische Fremdenverkehrswerbung innerhalb der Warschauer Vertragsstaaten ins Rollen brachten.
Das Rezept zur Delikatess-Soljanka.
Ihr Tester
Matthias Kaiser
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