Die Hainich-Saga von Matthias Kaiser - Vierzehntes Kapitel

Blüten, Primeln – Heimaterde Ein Besuch bei der TM Zierpflanzen GmbH in Mühlhausen

Als ich an einem grauen Vormittag im Februar den ausgedehnten Gebäudekomplex der TUPAG AG in der Mühlhäuser Industriestraße betrat, in dem die TM Zierpflanzen GmbH und die Thomaflor GmbH unter einem Dach residieren, empfing mich ein frischer Kaffeeduft, der den Pegel eines normalen Bürobetriebes weit überstieg. Was mich schon ein wenig erstaunte, hatte ich doch hier an der Quelle gärtnerischen Fleißes eigentlich erwartet, dass mich statt des Kaffeeduftes die duftige Brise Floras umhüllen würde.

Eine Konstellation, die mich natürlich veranlasste, die beiden Gesprächspartner, mit denen ich mich verabredet hatte – die Thomaflor-Geschäftsführerin Yvonne Fleischer und den Produktionsleiter und Prokurist der TM Zierpflanzen GmbH, Mike Fischer – in der mir eigenen, etwas spöttischen Art zu fragen, ob ich mich verlaufen hätte. „Bin doch richtig hier: Blumen und Pflanzen en gros und in allen Schattierungen? Oder vielleicht in einer Dependance des Mühlhäuser Stadt-Cafés?“

Von einem Lächeln begleitet folgte die Erklärung durch Yvonne Fleischer: „Wir hatten Besuch von der IHK. Anlässlich des dreißigjährigen Firmenjubiläums der Zierpflanzen GmbH wurde uns eine Anerkennungs-Urkunde überreicht. Da gebieten es allein Respekt und Anstand einen guten Kaffee aufzutischen.“

Schon aus diesen wenigen Worten hatte sich meine Recherche bestätigt, dass am Standort Industriestraße zwischen den Firmen des TUPAG-Verbundes eine fruchtbare Symbiose beheimatet ist. Was allein daran zu sehen war, dass die Thomaflor-Geschäftsführerin stolz auf die Erfolge der TM Zierpflanzen GmbH verwies. Wobei deren Produktionsleiter, Mike Fischer, zustimmend nickte. Eine Verflechtung, die aus einer jahrelangen vertrauensvollen Zusammenarbeit resultiert, die nicht nur Kosten spart, sondern auch eine schnörkellose Kommunikation ohne Umwege ermöglicht.

„Im Übrigen eine Ehrung mit gut einjähriger Verspätung. Die Zierpflanze wurde nämlich schon im Oktober 1990 gegründet" erklärt sie. „Überdies an einem Standort mit Tradition, denn schon seit den Siebzigern wird am Rande der ehemaligen Freien Reichsstadt Mühlhausen professionell gegärtnert", weiß Mike Fischer, womit er mir die Frage nach dem genauen Gründungsdatum der Zierpflanzen GmbH ersparte. „Doch Corona hat auch in diesem Fall den Terminkalender ein wenig durcheinandergewirbelt. Aber auch verspätet freuen sich die Mitarbeiter beider Unternehmen, dass ihre Arbeit Anerkennung findet".

Im Raum stand plötzlich ein Wir-Gefühl, dass sicherlich maßgeblichen Anteil an den wirtschaftlichen Erfolgen der TUPAG-Unternehmen und ihrer Töchter hat. Zu denen beispielsweise auch die Edelweiß-Floristik gehört, die inzwischen nicht nur in Thüringen, sondern auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Franken und Südniedersachsen mehr als sechzig Filialen betreibt.

Diese ungewöhnlich heitere Ouvertüre trug sicherlich maßgeblich dazu bei, dass unser weiteres Gespräch sozusagen von einem „Blauen Band" a´ la Mörike „umflattert" war. Ein durchaus passender Vergleich, wollte ich mich doch im Rahmen meiner Hainich-Saga vor dem Hintergrund des nahenden Frühlings über die Produktion und den Handel von Frühblühern und Gemüsepflanzen informieren. Wobei ich vor allem herausfinden wollte, inwieweit die Prinzipien in Bezug auf die Regionalität, deren Einhaltung auf der firmeneigenen Zierpflanzen-Webseite besonders propagiert wird, nicht nur eine leere Worthülse ist. Wobei mir natürlich bewusst war, dass auch im Zierpflanzenanbau Komponenten eingesetzt werden müssen, die von Spezialisten in anderen Regionen kostengünstiger angeboten werden.

Die Endprodukte jedoch – und hier möchte ich in meiner Conclusio vorgreifen – werden übrigens ausschließlich in TUPAG-eigenen Unternehmen vermarktet. Dazu gehört nicht nur die Edelweißkette, sondern auch die OBI-Baumärkte in Ammern, Gotha, Eisenach und Bad Hersfeld. Die Produkte werden ausschließlich am Standort produziert und erreichen so auf kürzestem Weg den Endverbraucher. Was nicht nur zu einer überdurchschnittlich guten Qualität verhilft, sondern auch von einem ressourcenschonenden Handeln zeugt.

Bevor ich jedoch mit meinem Fragenkatalog starten konnte, schlug Mike Fischer eine Besichtigung der Gewächshäuser vor. „Man sollte schon wissen, worüber man schreibt". Mit einladender Geste deutete er an, ihm zu folgen.

Kurze Zeit später ließ mich tropische Luft das grauenhafte Februarwetter vergessen. Vor mir leuchtete ein feinmaschig gewebter riesiger bunter Teppich aus Frühjahrsblühern. Es war mir, als betrete ich einen botanischen Garten. Wenn auch einer mit klarer Struktur, wäre es doch unmöglich und völlig unwirtschaftlich, ließe man der Natur freien Lauf. Wie ich später erfuhr, hat Mike Fischer 1993, also vor 29 Jahren als Lehrling in der Zierpflanzen GmbH als Lehrling begonnen und sich peu à peu mit Fleiß und Beharrlichkeit zum Chefgärtner hochgearbeitet. Nur einmal ward ihm eine Auszeit verordnet: Wehrdienst. Angesichts der akkuraten Aufstellung der Pflanzen vermutete ich, dass er auch ein erfolgreicher Feldwebel geworden wäre.

„Unsere Pflanzen wachsen unter rund 2,5 Hektar Glas," erläuterte Mike Fischer im routinierten Tonfall eines Stadtführers. „Rechnet man mit einer Durchschnittsfläche von rund 7000 Quadratmetern, bewirtschaftet die Zierpflanzen GmbH also etwas mehr als drei Fußballfelder."

Und das, wie ich im Laufe meiner Führung erfuhr, unter Einhaltung naturnaher und umweltschonender Methoden. Mike Fischer sagt nicht ohne Stolz, dass man nur in den heißen Sommermonaten Wasser aus den hauseigenen Brunnen entnehme. „Wir bewässern unsere Pflanzen hauptsächlich mit Regenwasser. Leiten es von den riesigen Glasdächern in gewaltige Zisternen gleich neben den Gewächshäusern.“  Ohne mich in wissenschaftlichen Details zu verlieren, weiß ich natürlich, welche positiven Auswirkungen allein diese Umstellung von Brunnen- auf Regenwasser auf die CO2-Bilanz mit sich bringt.

Wir kommen an einer kleinen Gruppe von Gärtnern vorbei, die wie Fließbandarbeiter kleine Stiefmütterchen-Pflänzchen in die hüfthohen Pflanzbeete setzen. Für einen Sekundenbruchteil schauen sie auf und grüßen wortlos.

Mike Fischer folgte erneut meinem Blick: „Heute Nachmittag müssen wir noch einige Paletten Primeln zusammenstellen. Morgen in aller Herrgottsfrühe müssen erst einmal Tausendschönchen und Ranunkeln in unsere Fialen geliefert werden. Derzeit reißt man uns in den Märkten die Ware förmlich aus der Hand. Nach dem trüben Winter gieren die Menschen regelrecht nach Farbtupfern.“

Plötzlich wurde mir bewusst, welche Vorteile es neben der Einsparung von Ressourcen mit sich bringen kann, regional zu produzieren. Nicht nur, dass den Pflänzchen das Leiden tagelangen Herankarrens erspart bleibt, es kann auch Kundenwünschen schnell und unkompliziert entsprochen werden. Außerdem verfügt so ein in der Region liebevoll behütet „aufgewachsenes“ Mühlhäuser-Original-Pflänzchen doch über eine Robustheit, die anonym aufgewachsene Massenware leider viel zu oft vermissen lässt. 

Ohne Rücksicht auf meine feinfühligen Betrachtungen riss mich Mike Fischer erneut aus meinen Gedanken.    

„In der Gärtnerei geht halt nichts ohne Handarbeit. Doch es gibt auch in unserem Gewerbe schon intelligente Helferlein“, erklärte er. Und führte mich zu einem Pflanzroboter, der mich stark an ein Flaschenbier-Karussell erinnerte. Fasziniert beobachtete ich, mit welcher Exaktheit der Roboter Pflänzchen auf Pflänzchen in kleine Töpfchen versenkte. „Topft rund 4000 Setzlinge in der Stunde.“ Der Pflanzen-Feldwebel tritt näher und ist ganz in seinem Element. „Ich bin fest davon überzeugt, dass weitere Roboter folgen werden, die selbst kompliziertere Arbeitsabläufe automatisieren.“

Und die eigentlich nur noch das Grüßen lernen müsse - schoss es mir durch den Sinn. Behielt aber diese Plattitüde besser für mich.

Hatte aber auch kaum Zeit, mein eigentliches Ziel in weiteren Gedankengängen zu verlieren, denn „Schulmeister“ Fischer fuhr unberührt in seinem Vortrag fort: „Seit einigen Monaten verwenden wir übrigens nur noch zu einhundert Prozent recyclingfähige Töpfe.“

Er sah meinen fragenden Blick. „Das sind Töpfe, die nicht aus neuem Material, sondern zu einhundert Prozent aus Abfällen aus dem Gelben Sack und haushaltsnahen Wertstoffen hergestellt werden. Der Fachmann nennt das Post-Consumer-Material. Sollte sie aber weniger interessieren, als die Tatsache, dass diese Töpfe farbig – in unserem Falle hellbraun – sind. Was den enormen Vorteil mit sich bringt, dass sie künftig dem Recycling-Kreislauf zugeführt und nicht wie bisher in Müllverbrennungsanlagen verbrannt werden. Nur der Ordnunghalber möchte ich nämlich erwähnen, dass Sortieranlagen nicht in der Lage sind, schwarze Gegenstände zu erkennen. Worauf diese im Müll landen, um sozusagen als Persona non grata ohne Rücksicht auf Nachhaltigkeit verbrannt zu werden.

Immer mehr verlor sich unser Rundgang im Detail. Ich lernte, dass der umweltbewusste Gärtner statt wie der Laubenpieper seit Längerem nicht auf kompostierte Erde setzt, sondern auf torfreduzierte Substrate, die den Vorteil einer durchgängigen Qualität aufweisen. Erfuhr, dass man zur Schädlingsbekämpfung statt der chemischen Keule auf natürliche Nützlinge, wie beispielsweise auf Schlupfwespen, Raubmilben, Florfliegen und sogar Marienkäfer setzt. Die übrigens auch der Hobbygärtner bei OBI ordern kann.

Wurde darüber informiert, dass jede Pflanze, die das Gelände verlässt, nur mit einem auf den Topf gestempelten Europäischen Pflanzenpass gehandelt werden darf und dass es Pflanzenschutzämter gibt, die als bundesdeutsche Dienststellen bei Groß-Gärtnereien die Einhaltung der Pflanzenschutzverordnungen besonders streng kontrollieren. Und, wie ich hoffe, sicherlich bei groben Verstößen auch besonders scharf sanktionieren. Doch das ist ein anderes Kapitel. Sicherlich nicht weniger interessant, aber für meine Aufgabe völlig irrelevant.

Nach einer guten Stunde kredenzte mir Yvonne Fleischer im Büro einen frisch gebrühten Kaffee. Und das, obwohl ich keine Urkunde, sondern nur schlichte Komplimente überreichen konnte. Komplimente für eine Führung, die mir mehr Einblicke in einen Berufszweig gewährte, als das ausführlichste Fachbuch. Aber auch ein Kompliment für die Zeit, die man einem wissensdurstigen Heimatdichter im hektischen Alltag „opferte“, der gar nichts kaufen, sondern nur Löcher in den Bauch fragen wollte.

Zuletzt erfuhr ich übrigens so nebenbei, dass auch die Produktion der Salatpflänzchen und Kräuter seit gut zwei Wochen auf vollen Touren laufe. Als man mir zum Abschied ein Potpourri aus kleinen leuchtenden Farbtupfern für ein Foto (sicherlich aber auch zur Erbauung) überreichte, überkam mich noch einmal der Schalk: „Eigentlich würde mir als Koch ein Kräuterbouquet mit den sieben Kräutern für eine Frankfurter Grüne Soße viel besser gefallen“, frotzelte ich.

„Frankfurter Grüne Soße? Was ist das?“ Mike Fischer, der Gärtnermeister,  war erstmals sprachlos. „Eines der Lieblingsessen des Geheimen Rates Goethe“, versuchte ich mein kulinarisches Wissen an den Mann zu bringen.

Doch Mike winkte nur kurz ab. „Habe keine Zeit mehr. Die Primeln rufen. Schick mir einfach das Rezept.“ 

So steht am Ende ein herrliches Dankeschön an diejenigen, die weitab jeglichen kaufmännischen Kalküls vor allem eines im Sinn haben: Menschen zu erfreuen. Und hier bitte schön: das Rezept zur grünen Soße!