Die Hainich-Saga von Matthias Kaiser - Fünfzehntes Kapitel

Es muss nicht immer Kaviar sein - Kulinarische Betrachtungen frei Simmel

In unserer mit Discountern und Marktplätzen gepflasterten Konsumgesellschaft muss kein Mensch mehr losziehen, um seinen Sonntagsbraten mit Pfeil und Bogen zu erlegen. Niemand muss mehr durch Feld und Flur streichen, um seinen täglichen Bedarf an Chlorophyll zu decken. Doch hin und wieder brechen bei uns die Gene der Jäger und Sammler durch. Wenn wir beispielsweise durch Wälder und Wiesen stolpern, um Pilze zu sammeln, oder wenn wir auf der Jagd nach unerwünschten Nagern raffinierte Fallen aufstellen.

Plötzlich erwacht in uns der Killerinstinkt unserer Ur-Vorfahren, der scheinbar nichts von seiner Gefährlichkeit verloren hat. Eigentlich haben sich im Laufe der Jahrtausende nur die Jagdgebiete und damit einhergehend natürlich auch die Beute verändert. Die Methoden bleiben gleich. 

So verwundert es auch nicht, dass die vor mehr als einhundert Jahren von bahnbrechenden Psychologen wie Freud, Pawlow oder Wundt aufgestellte Theorie, man könne die animalischen Urinstinkte eines Menschen mit dem Sammeln von Briefmarken, Münzen oder anderen vergleichsweise harmlosen Beschäftigungen im Zaum halten, längst ad absurdum geführt wurde.

Inzwischen wird hemmungsloser als je zuvor gesammelt. Wie gesagt: nur die Jagdfelder haben sich verändert . . . und der Zweck. Denn niemand muss heute noch jagen und sammeln, um physisch zu überleben.

Um so erschreckender ist es, dass es Menschen gibt, die sich auf die Jagd begeben, um sich gesellschaftlich zu profilieren. 

Seit einigen Jahrzehnten hat der Homo Sapiens dabei auch mit dem Sammeln von Speisen und Geschmäckern ein neues Kapitel der Jagdlust aufgeschlagen. Nehmen zum Beispiel die Unbilden eine tausende Kilometer lange Reise in Kauf, um später im Kreise anderer Jagdgenossen oder Freunde damit anzugeben, wie unter Einsatz von Leben und Gesundheit in den gefährlichsten Regionen des Irans Kaviar verspeist wurde. Oder protzen, mit welcher Entschlossenheit sie Schwärmen von Wildlachsen in Kanada zu Leibe rückten. Und stolz die dazu gehörenden Beweisfotos präsentiert. Andere wiederum brüsten sich damit, mit welcher Tollkühnheit sie in der Arktis bei minus 35 Grad Celsius den Unbilden des Wetters trotzten, um einen auf glühenden Vulkansteinen rosa gegrillten Elchrücken zu verdrücken. Die ganz hartgesottenen Gourmet-Jäger geben damit an, mit welcher Hingabe sie sich der Ausrottung ganzer Hummerkolonien in der Bretagne widmeten, um anschließend en passant die Austernbänke in der Normandie auszuplündern. Und die wirklich völlig Verrückten renommieren, mit welchem Todesmut sie auf den salmonellenverseuchten, chinesischen Fressmärkten den Verzehr von gegrillten Skorpionen überlebten. Um hier nur einige Dinge aufzuzählen, die man gegessen haben muss, um in der Rangordnung der Gourmets an Ansehen zu gewinnen.

Allein bei der Schilderung solcher mehr als anstößigen, kulinarischen Abenteuer – oder sollte man lieber sagen, animalischen Zwangsneurosen – überfällt den klar, nüchtern und rational denkenden Mitteleuropäer (wie beispielsweise den Thüringer im Allgemeinen und die Vogteier oder die Eichsfelder im Speziellen) allenfalls Mitleid. Keinesfalls brechen die Clanmitglieder dieser genannten Stämme in Bewunderungsstürme aus, noch möchten sie ihre gesellschaftliche Stellung durch fragwürdige Ernährungs-Riten aufwerten.

Außerdem wissen sie aus Erfahrung, dass selbst der versnobteste Jäger des außergewöhnlichen Geschmackes letztendlich froh ist, wenn er in der Geborgenheit des heimischen Herdes endlich wieder ein von Mutti oder Oma (in Ausnahmefällen tut es auch der Vati oder Opa) liebevoll zubereitetes friedliebendes Jägerschnitzel genießen darf.      

Eine Erkenntnis, die einerseits in der Frage mündet, warum man erst unter Missachtung sämtlicher Regeln der Nachhaltigkeit ganze Spezies gefährden muss, um letztlich doch im vertrauten Schoße sein (kulinarisches) Glück zu finden, anderseits aber auch Überlegungen aufwirft, auf welch anderem Wege man sein kulinarisches Bonheur findet.

Doch halt: natürlich gibt es eine Möglichkeit, wie der Mensch auch in der derzeit trüben Stimmungslage das kleine Glück finden kann. Die Losung lautet:„Zurück in die kulinarische Zukunft". Eine Formulierung, für die ich gern einen Taler in das berühmte Phrasenschwein werfe.  Nichts umschreibt die Möglichkeit besser, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf der Melange zwischen Virus, Krieg und Zukunftsängsten herauszuziehen, als die Besinnung auf unsere alten Traditionen und eine bewährte – wenn auch modern interpretierte – Hausmannskost. Kostet noch einmal nen Taler. Ich weiß . . . und löhne freudig. 

Wobei mich die Erkenntnis anfangs schon ein wenig irritiert hat, dass dabei so profane Alltagsgüter wie beispielsweise Konserven das ganze Equipment ersetzen können, das die Jäger nach dem Geschmack nutzen, um ihre zwanghaften Selbstdarsteller-Neurosen auszukosten. Manchmal sind es eben die kleinen, fast möchte ich schreiben, unscheinbaren Hilfsmittel, die heilende und vor allem fröhlich stimmende Erinnerungen heraufbeschwören können.

Beispiel gefällig: Gleichzeitig mit dem Frühjahrsputz führen wir in der Familie einmal im Jahr so etwas wie eine Art Inventur durch. Sortieren Überlagertes aus und setzen die Restbestände aus Keller, Tiefkühlschrank und Speisekammer auf die Liste der dringlich zu verzehrenden Nahrungsmittel. In dieser Saison fielen mir neben anderen Konserven auch zwei Gläser Hainich-Letscho in die Hände. Meine Frau und ich sahen uns an und mussten plötzlich lachen, denn fast gleichzeitig erinnerten wir uns an unseren ersten Ungarn-Besuch im Frühherbst 1975. 

Unser Sehnsuchtsziel hieß damals Budapest. Über das Reisebüro hatten wir ein Privatquartier gebucht. Es lag mitten in der Altstadt in einem von vorn betrachtet imposanten Jugendstilhaus, das letztlich in geschätzt zwei Dutzend Hinterhöfen verlief. Völlig hingerissen von der Atmosphäre der Weltstadt waren wir schon am ersten Abend essen gegangen. Kurz nach sieben betraten wir das Jagdrestaurant „Diana". Es war uns am Nachmittag aufgefallen, lockte es doch im Aushang mit einem appetitanregenden Farbfoto von einem „Ungarischen Husarenschwert". Leider ohne einen Preis zu nennen. Der sich schließlich als derartig exorbitant entpuppte, dass wir wegen der knapp bemessenen Forints unseren Traum vom ungarischen Grillspieß beerdigen mussten.

Notgedrungen bestellten wir eine etwas preiswertere „Magyar vidéki csirkehúsleves" - eine ungarische Hühnersuppe. Immerhin bekam jeder von uns - wir speisten zu viert - eine eigene Hühnerkeule. Beim Bezahlen dann das Malheur. Wir hatten uns zu allem Überdruss auch noch in ein Devisen-Restaurant verlaufen. Nur mit allergrößter Überzeugung und fast dem gesamten Einsatz unseres bescheidenen Umtauschgeldes kamen wir einigermaßen heil aus der Sache heraus. Was blieb, war tiefer Frust und die Erkenntnis, dass unsere finanzielle Situation keine weiteren Urlaubs-Extras mehr zuließ. Was unsere Ungarn-Euphorie merklich dämpfte. So schnupperten wir uns zehn Tage durch Budapest und am letzten Tag kratzen wir unsere letzten Forints zusammen und ergatterten in der weltberühmten Budapester Markthalle sechs Gläser Letscho.

Zu Hause angekommen, luden wir zwei befreundete Familien ein. Schwärmten von der ungarischen Exkursion und verschwiegen natürlich unseren Fauxpas. Und schon während ich unseren Freunden eine riesige Platte mit kleinem Steak-Letscho servierte, stellte sich plötzlich jenes Ungarn-Feeling ein, dass uns in Budapest so vermiest wurde. 

Bleibt die Erkenntnis, dass es oft die unscheinbaren, alltäglichen Dinge sind, die unseren Alltag freundlicher gestalten - selbst etwas so Banales wie der Griff nach einem Konservenglas.

Und was ist eigentlich Letscho? Neben der berühmten ungarischen Gulaschsuppe, deren Rezept ich Ihnen bei nächster Gelegenheit verrate, Paprika-Huhn oder der unvergleichlichen Ungarischen Salami gehört „das" Letscho zu den Säulen der ungarischen Küche, deren Wurzeln übrigens bäuerlichen Ursprungs sind. Eine Kombination aus frischem Gemüse und deftigem Fleisch macht diese Küche unwiderstehlich. Grundbaustein der ungarischen Küche ist die Paprika. In Hunderten von Abwandlungen gezüchtet, ist sie das Non plus Ultra des ungarischen Geschmackes. Ob als Gewürz, Salat oder Gemüse ist sie allgegenwärtig. 

Die gelbe Paprika zusammen mit vollreifen Tomaten und Zwiebeln bildet die Grundlage für das allseits beliebte Schmorgericht „Letscho". In unseren Breiten mehr als Beilage bekannt, ist es in der Ungarischen Küche ein Hauptgericht, zu dem traditionell Eiergraupen-Tarhonya gereicht werden. Anders als in Mitteleuropa, wo Letscho hauptsächlich als Beilage zu einem Schweinenackensteak serviert wird, reichern die ungarischen Köche und Hausfrauen ihr Letscho mit Speck oder der bekannten Paprikawurst „Lecsókolbász" an. 

Da in Konserven Speck aus vielerlei Gründen nicht verwendet werden kann oder sollte, fabriziert die HAINICH Konserven GmbH seit Jahrzehnten ein reines Naturletscho und überlässt damit den Endverbrauchern die volle Freiheit individueller Wünsche. Wobei erwähnt werden muss, dass HAINICH Letscho in seiner puritanischen Form allein schon ein Genuss ist. Die Spielarten sind Zeugnis von Vorlieben und auch Bekömmlichkeiten. In jedem Falle lohnt sich aber auch eine Veredlung.

Probieren Sie doch einmal das Rezept Steak mit Letscho